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Meditation und Mitgefühl

  • Mittwoch, 14 Mai 2014 00:00
Meditation und Mitgefühl

Am 9. und 10. Oktober 1982 hielt Geshe Rabten in Feldkirch, Österreich ein Seminar über Meditation . Die Zusammenhänge zwischen Mitgefühl und Meditation werden in diesem kurzen Essay besonders hervorgehoben, denn, wie Geshe Rabten pointiert formuliert: „Dharma zu praktizieren bedeutet, tief empfundenes Mitgefühl zu leben.“ Geshe Rabten erklärt uns die positive Wirkung der Meditation  mit sehr einfachen und klaren Worten, die uns allen in jeder Lebenssituation helfen kann, schädigende Handlungen zu ver-meiden. Im vorliegenden Text wurde die Übersetzung sprachlich überarbeitet und durch Zwischenüberschriften strukturiert.

Meditation ist ein Wort, das heutzutage in aller Munde ist und es gibt viele Leute die sagen, sie wüssten darüber Bescheid. Doch die wenigsten wissen, was Meditation wirklich ist und wie man sie anwendet. Dabei ist es sehr wichtig, die Natur der Meditation zu verstehen, was sie ist und wie man die eigene Me-ditation entwickeln kann, um nicht von fehlerhaften Ansichten beeinflusst zu werden und nicht auf Irrwege zu geraten. 

Meditation umfasst ein sehr weites Gebiet verschiedener Methoden und Aspekte des Geistes, die tiefgründig sind und über unsere gewöhnlichen Vorstellungsfähigkeiten hinaus gehen. Ob eine Meditation heilsam ist oder nicht, kann jeder schnell für sich heraus finden: Fühlt man sich bei oder nach der Meditation unwohl, ist dies ein eindeutiges Zeichen dafür, dass man auf einem falschen Weg ist. Richtige Meditation fühlt sich heilend an.

Grundsätzlich gibt es eine schier unendliche Vielzahl verschiedener Meditationen, die mit der ebenfalls unzählbaren Anzahl geistiger Zustände der Menschen korreliert, die viel zu oft Leid verursachen. Wollen wir uns von leider-zeugenden Geisteszuständen befreien, ist Meditation eine wertvolle und wirksame Medizin.

Schon eine Kuh kann uns zu Glück verhelfen

Ein weitverbreitetes Missverständnis über Meditation ist die Annahme, sie sei eine körperliche Aktivität wie etwa körperliches Yoga oder benötige bestimmte Körperhaltungen. Solche körperlichen Methoden können zwar eine Meditation unterstützen, doch sie sind selbst keine Meditation. Die wörtliche Bedeutung des tibetischen Begriffs für Meditation beschreibt, dass wir den Geist dabei auf ein heilsames Objekt ausrichten und ihn mit Heilsamem vertraut machen. Meditation ist eine heilsame Aktivität des Geistes.

Wie können wir uns an Heilsames gewöhnen? Denken wir beispielsweise an ein krankes hungriges Tier oder an einen kranken Menschen, dann können wir uns daran gewöhnen, Mitgefühl für das  leidende Wesen zu empfinden. Wir denken dabei vielleicht: „Oh je, der Arme, wenn es ihm nur besser ginge, wenn er nur frei wäre von diesem Leid.“ Dieser wunderbare Wunsch, dass ein Wesen frei sein möge von allem Leid, nennen wir Mitgefühl. Entsteht der Wunsch immer wieder aufs Neue und gewöhnen wir uns an Mitgefühl, entwickelt sich langsam eine neue Lebenshaltung. Schon während dieser geistigen Verände-rung, wodurch sich das Mitgefühl verstärkt, befinden wir uns in einer Meditation: Denn der Geist wird währenddessen auf Heilsames, die Leidfreiheit anderer, ausgerichtet.

Ein anderes Beispiel dafür, den Geistes auf Heilsames zu fokussieren, ist das Vertrauen in Gedanken oder Bilder, durch die Lebensumstände heilsam verändert werden können. Da das damit verbundene Vertrauen eine heilsame Tätigkeit des Geistes ist, sprechen wir auch hier von Meditation. Das sind nur zwei einfache Beispiele, die ich erwähne, weil sie leicht zu verstehen sind. Man sollte jetzt aber nicht dem Fehler verfallen und denken, Meditation beschränke sich lediglich auf diese beiden Fälle. Wie schon erwähnt: Es gibt unzählige verschiedene Meditationen, die Gegenmittel zur Überwindung  schädigender Geisteszustände sind.

Da Meditation darin besteht, den Geist auf ein heilsames Objekt auszurichten und ihn daran zu gewöhnen, stellt sich unmittelbar die Frage nach den Eigenschaften geeigneter heilsamer Objekte? Denken wir hierüber intensiv nach, stellen wir fest, dass ein heilsames Objekt nur in Bezug auf einen bestimmten Meditierenden heilsam sein kann. Zwar hängt das Heilsame auch in einem gewissen Grad von einem Objekt selbst ab – beispielsweise tötet oder verletzt eine Pistole fast immer ein anderes Wesen – doch ausschlaggebend dafür, ob etwas heilsam oder schädigend wirkt, ist unsere Beziehung zu einem Objekt. 

Zur Überprüfung dieses Argumentes betrachten wir ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an, hier im Raum sei eine Person, der gegenüber jemand anderes hier im Raum Mitgefühl empfindet, dies in sich fühlt und auch verstärkt. Andererseits könnte ich auf die gleiche Person verärgert und wütend sein. Eine Person wäre also im einen Fall für jemandem ein heilsames Objekt, während dieselbe Person für mich eher ein schädigendes Objekt wäre. Derselbe Mensch kann aufgrund unterschiedlicher Beziehungen zu anderen sowohl eine heilsame als auch eine schädigende Wirkung erzeugen und somit ein heilsames und ein schädigendes Objekt zugleich sein. Denken wir weiter über diese Zusammenhänge nach lernen wir, dass die heilsame oder schädigende Wirkung im Grunde aus den geistigen Beziehungen resultiert, die wir zu anderen, zu Situation oder im Verhältnis zu Gegenständen haben. In der Essenz gestalten meine Gedanken und Vorstellungen die Qualitäten meiner Beziehungen zur Welt.

Betrachten wir ein zweites Beispiel: Stellen wir uns vor, da draußen auf der Wiese stünde eine Kuh und jemand denkt: „Ach, wäre das Vieh doch endlich fett, dann hätte ich schon bald einen guten Sonntagsbraten.“ Dieser Gedanke hat den Tod der Kuh zur Folge. Insofern ist die Kuh in diesem besonderen Moment für jemanden ein schädigendes Objekt, weil der Wunsch nach dem Tod eines anderen Wesen schädigt die wünschende Person. Denkt aber eine zweite Person: „Ach wie schön, diese Kuh nährt mich mit Milch. Was ist das doch für ein nützliches Tier!“, und empfindet aufgrund dieser Sichtweise dabei ein tiefes Mitgefühl für die Kuh, gibt ihr Gras und Wasser, streichelt und umsorgt sie, dann ist dieselbe Kuh für die zweite Person ein heilsames Objekt. 

Welche Folgen ergeben sich hieraus? In dem jemand Mitgefühl für eine Kuh entwickelt, kann sich bereits der Wunsch entwickeln, dass alle Menschen und Tiere frei von Leid sein mögen. Durch beständige Übung kann das Mitgefühl dann so stark anwachsen, dass jemand gegenüber allen fühlenden Wesen Mitgefühl empfinden kann. Gewissermaßen als Nebenwirkung wird diese Person zunehmend Glück erleben. Denn in dem Maße wie Mitgefühl wächst, wird eine mitfühlender Mensch weniger Ärger oder Wut erleben und stattdessen zunehmend innere Ruhe und Ausgeglichenheit leben. So kann eine einfache Kuh auf der Weide uns zu großem Glück verhelfen.

Meditation ist eine praktische Lebenshaltung

Manche Leute beklagen sich, sie könnten nicht meditieren und wüssten nicht, wie man das macht. Wenn wir in dieser Weise über Meditation sprechen, haben wir meist ein bestimmtes Bild über Meditation und eine damit verbundene Handlungen im Sinn. Dies ist letztlich aber ohne Bedeutung, weil es nur Worte sind. Fährt beispielsweise jemand mit einem Boot auf einen See hinaus und sieht dort Schwäne und andere Wasservögel, die um Nahrung betteln, und wirft diesen Tieren spontan aus Mitgefühl Nahrung zu, dann ist dies bereits eine heilsame Lebenshaltung, die wir Meditation nennen, egal ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Eine Handlung wird dadurch heilsam, dass sie frei ist von egoistischen Interessen und als Resultat Glück für ein fühlendes Wesen hervorbringt. Im Gegensatz dazu ist eine Handlung schädigend, die als Resultat Leid für einen selbst oder für andere bewirkt und mit egoistischen Verblendungen verbunden ist. Alles, das Mitgefühl fördert, ist heilsam und ein Mittel der Meditation. Auf dieser Ebene sind Meditation und Mitgefühl synonym.

Indem wir den Geist auf heilsame Objekte richten, ihn in heilsamen Gedanken schulen und daran gewöhnen, meditieren wir, ganz gleich, ob wir dabei spazieren gehen, arbeiten oder was sonst noch tun. Es ist wichtig zu verstehen, dass Meditation nichts theoretisches, sondern eine sehr praktische Lebenshal-tung ist. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob wir etwas als Meditation bezeichnen oder nicht. Egal wie man mitfühlendes Verhalten auch benennt, es entspricht dem, was wir im Buddhismus als Meditation und Praxis des Dharma bezeichnen. Jemand kann bezüglich der eigenen Anschauung der Meinung sein, kein religiöses Leben zu führen. Das ist vollkommen in Ordnung und ohne jede Bedeutung. Denn es spielt überhaupt keine Rolle, welche Anschauung wir haben oder mit welchen Begriffen wir konkrete Lebenssituationen belegen. Wichtig ist nur die mitfühlende Praxis. Hieraus folgt im Umkehrschluss: Be-hauptet jemand von sich selbst, ein religiöser Mensch zu sein, während er oder sie sich anderen gegenüber aggressiv verhält und ihnen Leid zufügt, dann ist eine solche Person nicht wirklich religiös und ist nicht auf dem Weg des Dharma. Dharma zu praktizieren bedeutet, tief empfundenes  Mitgefühl zu leben.

Jede Handlung erzeugt Eindrücke in unserem Geist

Durch die gezielte Anwendung von Meditation kann man den Geist so verändern, dass er fröhlich und von Glück erfüllt wird, wodurch  Traurigkeit und andere negative Gedanken gleichzeitig verschwinden.  Dies weist uns darauf hin, dass jede Handlung, die wir mit unserem Geist, unserer Rede oder mit unserem Körper ausführen, verschiedene Qualitäten haben kann, die wir in drei Gruppen einteilen:  

Die erste Gruppe umfasst die schon genannten karmisch heilsamen Handlungen. Wie alle Handlungen haben sie die Eigenschaft, veränderlich zu sein, was wiederum die Grundlage dafür ist, dass sie überhaupt etwas bewirken und in diesem Fall positiv verändern können. Heilsame Handlungen erzeugen immer etwas Angenehmes; sie sind Ursachen für Glück. 

Die zweite Gruppe bilden die karmisch schädigenden Handlungen. Auch sie sind veränderlich und deshalb wirksam. Allerdings erzeugen sie Leid in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung. Alles das, was wir alle im Grunde versuchen zu vermeiden.

Und schließlich gibt es noch die dritte Gruppe der karmisch neutralen Hand-lungen, deren Wirkung weder heilsam noch schädigend sind, wie beispielsweise ein gesunder Schlaf, währenddessen wir niemandem schaden aber auch niemandem nutzen. 

Um diese drei Qualitäten besser in den verschiedenen Lebenslagen vergegenwärtigen zu können, mag eine Analogie aus der Pflanzenwelt helfen: Die Samen bestimmter Früchte bringen immer wieder süße Früchte hervor, während andere, wie der Same des Pfeffers, immer nur eine im Mund brennende Pfefferschote hervorbringen kann. Und es gibt Samen, die weder süße noch brennende Früchte haben. Mit unseren Handlungen verhält es sich ähnlich.

Handlung heißt im Sanskrit Karma. Dieser Begriff umschreibt die einfache Tatsache, dass mit jeder Handlungen Eindrücke in unserem Geist entstehen. Diese Eindrücke nennen wir karmische Samen, weil deren Qualität unsere zu-künftigen Lebenssituationen, die wir potenziell erleben können, wesentlich be-stimmen. Karma ist ein Potenzial, das wir durch Handlung in unserem Geist erzeugen, wodurch bestimmte Erlebnisse in der Zukunft wahrscheinlicher werden. 

Das Hauptziel der buddhistischen Meditation ist es nun, den Geist mit heilsamen Quellen so vertraut zu machen, dass wir Schritt für Schritt karmisch heilsame Samen in den Boden unseres Geistes aussäen, diese hegen und pflegen, so dass wir in der Zukunft glücklicher leben können. Gleichzeitig werden dadurch negative, schädigende  Aspekte des Geistes, wodurch wir ständig Leid erleben, geschwächt, bis sie eines Tages ganz überwunden sein werden. Mit dieser Methode säen wir also heilsame karmische Samen aus und entfernen gleichzeitig schädigende karmische Samen aus dem Boden des Geistes. Dies nennen wir im Buddhismus die Befreiung des Geistes von leidvollen Zuständen. Gewöhnen wir den Geist an heilsame Handlungen, lernen wir verbal und körperlich heilsam zu handeln und werden dadurch Glück erleben. Je weiter dieser Heilungsprozess fortschreitet, umso mehr positive Ursachen werden erzeugt, die wiederum mehr angenehme und Glück erzeugende Lebensumstände mit sich bringen. So entsteht ein sich selbst verstärkendes glückliches Leben. 

Doch Vorsicht! Der Mechanismus des sich selbst verstärkenden Systems gilt auch für schädigende Geisteszuständen. Hierbei spielt die Überhöhung des ICH eine besondere Rolle, die wir als Verblendung des Geistes bezeichnen. Unter dem Einfluss der Verblendung des ICH handeln wir so, dass andere und letztlich auch wir selbst Schaden davon tragen. Daraus entsteht ebenfalls ein sich selbst verstärkender Kreislauf des Leids, der durch Meditation beendet werden kann. 

Macht man sich also sich auf den Weg, den eigenen Geist und seine Funktionsweise genauer zu verstehen und beispielsweise wenigstens in der Freizeit versucht, durch Meditation einige heilsame Samen im eigenen Geist auszusäen, dann tut man etwas äußerst nützliches für sich und zukünftige Lebenssituatio-nen. So wie es für Lehrende in Schulen wichtig ist, Kindern ein Wissen zu vermitteln, das ihnen im weiteren Leben helfen wird, gut zu leben, so ist es für uns selbst von großer Bedeutung, dass wir die heilsamen Faktoren unseres Geistes verstehen lernen und fördern, wodurch wir zukünftig ein besseres Leben führen können.

Manche mögen nun vielleicht denken, ich würde dafür plädieren, Kindern Buddhismus beizubringen. Das wäre ein aber großes Missverständnis. Ich will sehr deutlich sagen, dass es ganz gleich ist, mit welcher Religion wir leben. Wichtig ist nur, dass wir  lernen, mitfühlend zu leben. Das kann man mit  jeder Art von guter Religion. Der Name spielt wirklich keine Rolle. Ich bin ein buddhistischer Mönch. Aber das, was ich unterrichte, hat nicht ausschließlich mit dem Buddhismus zu tun. Vielmehr versuche ich die Natur unseres Geistes sowie entsprechende Instrumente zu vermitteln, damit wir alle ein wirklich mitfühlendes Leben erreichen können.

Meditation beginnt mit der Analyse

Im Westen glauben viele Menschen, Meditation sei eine Form der Konzentration. Leider kennen nur wenige die analytische Meditation, obwohl sie für das praktische Leben sehr nützlich und hilfreich ist. Mit Hilfe der analytische Meditation können wir unseren Geist besonders schnell und effektiv positiv verändern: 

Fast alle Meditationskurse beginnen mit der Beobachtung des Atems. Mit der Analyse der Qualitäten des Atems können wir den Geist von störenden Gedanken befreien. Wie aber geschieht das? Beobachtet und analysiert der Geist den Atem, muss er sich stets sich selbst hinsichtlich der Frage mitbeobachten, ob er den Atem noch beobachtet oder bereits von einem anderen Gedanken fortgetragen wird. Gelingt dem Geist diese Selbstbeobachtung (Introspektion), kann er, sobald  ein anderer Gedanke als der über den Atem auftritt, sein Abschweifen wahrnehmen und die Konzentration wieder auf den Atem lenken. Die Wir-kung ist zweifach positiv. Erstens: Da der Atem für jeden etwas Heilsames ist, denn er ermöglicht ja Leben, lernt der Geist, Heilsames wahrzunehmen und sich daran zu gewöhnen. Das heißt, der Geist lernt analytisch zu meditieren. Zweitens befreit sich der Geist mit dieser Atemmeditation von all den stören-den Gedanken, die ihn von der Beobachtung des Geistes abhalten könnten. Dadurch findet er Ruhe, ein Zustand, der ein glückliches Leben fördert.

Auch bei dem bereits erwähnten Vertrauen in ein heilsames Objekt handelt es sich um eine analytische Meditation. Dabei untersucht der Geist ein Objekt hinsichtlich dessen potenziell heilsamer Wirkung. Insofern ist solches Vertrauen auch kein blindes, sondern stützt sich auf einer Analyse. Wenn Sie beispielsweise ein gutes Buch über den Dharma lesen und über das Geschriebene nachdenken, machen Sie bereits eine analytische Meditation, denn sie untersuchen, ob die geschriebenen Argumente Ihnen helfen, Mitgefühl zu entwickeln oder nicht. Lesen Sie den gleichen Text nur aus intellektuellem Interesse, im Rahmen einer philosophischen Studie oder Ähnlichem, wird das Gelesene Sie kaum erreichen. Deshalb werden Sie auch kaum Nutzen daraus ziehen können und den Text bald wieder vergessen. 

Ähnliches kann Ihnen bezüglich der heutigen Erläuterungen widerfahren: Hören Sie konzentriert zu und denken Sie über das Gehörte intensiv nach, wie sich dieses oder jenes verhält, dann beginnen Sie eine analytische Meditation. Das Gehörte wird dadurch in Ihrem Geist gut verankert und wird kaum noch vergessen, weil Sie Ihren Geist auf etwas Heilsames ausrichten. Sind Sie aber wenig konzentriert und denken anschließend nicht mehr darüber nach, werden Sie das Gehörte bald vergessen und es tritt ein Zustand ein, der dem ähnelt, als ob Sie nie hier gewesen wären.

Alle geistigen Aktivitäten zur Entwicklung von Mitgefühl entsprechen einer analytischen Meditationen, die sehr hilfreich ist, um in Zukunft Glück erleben zu können. Um dieses Argument zu verinnerlichen, denken Sie über folgendes Beispiel nach: Sie kennen bestimmt jemanden, auf den Sie schon wütend werden, wenn Sie ihn nur sehen, bei dessen Anblick Sie denken: „Na verflucht, jetzt ist der Kerl schon wieder da.“ Sie ärgern sich, werden wütend und zerstören gleichzeitig Ihren vielleicht durch Meditation so schwer erarbeiteten inneren Frieden, der offensichtlich ziemlich labil ist. Wenn Sie regelmäßig über diese Wut und Ihre Haltung gegenüber dieser Person meditieren, werden Sie eines Tages, wenn Sie diese Person treffen, denken: „Warum soll ich mich eigentlich über diese Person ärgern? Es bringt doch nichts. Immer wenn ich mich über diese Person ärgere, findet sich kein Ende und ich fühle mich danach schlecht. Also, ich bleibe jetzt einfach ruhig und was diese Person auch tun mag, ich werde es ruhig ertragen.“ Diese Veränderung Ihrer Haltung ist ein praktisches Ergebnis, die heilsame Wirkung Ihrer analytischen Meditation, wodurch neue heilsame Handlungsoptionen möglich werden und Sie sich einfach besser fühlen.

Diese kurzen Beispielen verdeutlichen, dass analytische Meditationen unmittelbar heilsam wirken, weil sich unser Denken und Fühlen dadurch positiv verändern. Üben wir uns beispielsweise im Ertragen wenig angenehmer Handlungen eines anderen, über die wir in der Vergangenheit wütend wurden, dann verändert sich zunächst der Gesichtsausdruck, der weniger aggressiv aussieht. Stattdessen strahlt das Gesicht Entspannung aus, so wie der ganze Körper nicht Kampf, sondern Ruhe vermittelt. Der Geist und die Person werden dadurch eine wunderbare Ruhe erleben. Und die andere Person, die auf das früher ag-gressive Gesicht meist wieder ärgerlich reagiert hat, wird erkennen, dass dieses Mal kein böses Gesicht zu sehen ist und kann sich dadurch ebenfalls entspannen. Dies alles sind erste direkte heilsame Auswirkungen der analytischen Meditation zur Vermeidung von Ärger und zur Stärkung von Mitgefühl.

Meditieren ist systematisches Lernen

Manche denken nun vielleicht: „Ja, das ist sehr gut zu hören, dass solche Gedanken Meditation sind. Dazu bin ich auch imstande.“ Dabei kann aber der tückische Zweifel darüber auftreten, das verbale Bemühungen wie das Rezitieren von Gebeten oder spezifische körperliche Handlungen wie die Darbringung von Niederwerfungen nicht mehr erforderlich seien. Dann ist es hilfreich darüber nachzudenken, warum wir bestimmte Texte oder Körperhaltungen anwenden: Bestimmte schädigende Samen in unserem Geist sind so stark, dass wir besonders starke Heilmittel benötigen. Die Erfahrungen, die viele Mönche und Nonnen gemacht haben, zeigen, dass bestimmte verbale oder körperliche Aktivitäten hierfür besonders gut geeignet sind. Darin liegt ihre Bedeutung für die Meditation. 

Allerdings gilt auch hier das, was ich eben über die Bezeichnung von Religionen gesagt habe: Rezitieren wir Texte nur aufgrund einer Tradition, ohne den Wunsch, Mitfühlendes bewirken zu wollen, dann verkümmert dies zu inhaltsleeren Ritualen, die man auch weglassen kann. Manche, die beispielsweise die Erfahrung der Niederwerfungen in der Meditation kennen, hegen keine Zweifel an der starken heilsamen Wirkung solcher Handlungen. Anderen wiederum mögen sie als eine äußerst kuriose Sitte erscheinen. Sie fragen sich vielleicht, was Niederwerfungen im Buddhismus eigentlich bedeuten: Im Dharma ist die Niederwerfung Ausdruck der Verehrung und des Dankes gegenüber Buddha und anderen außergewöhnlichen Lebewesen, die uns helfen, unser Mitgefühl weiter zu entwickeln. Neben dieser traditionellen Bedeutung ist das Darbringen von Niederwerfungen auch eine wirksame Methode, um negative Eindrücke im eigenen Geistes zu beseitigen, weil im Moment der Niederwerfung das eigene ICH nicht mehr überhöht wird. Doch Niederwerfungen und das Rezitieren von Dharmatexten sind keine Verpflichtungen. Sie sind nur eine besonders wirksame Form der Praxis des Dharma. Wer den Wunsch danach hat und die heilsame Wirkung empfindet, dem stehen sie zur Verfügung; wer diesen Wunsch nicht hat, kann sie ruhig weglassen.

Wenn wir beginnen, Meditation zu erlernen, ist es zunächst wichtig den Geist zu beruhigen. Die Beruhigung des Geistes ist dem Vorgang ähnlich, wenn trübes Wasser durch einfaches Stehenlassen gereinigt wird, indem sich die Schmutzstoffe langsam absetzen. Der Schmutz trennt sich vom Wasser, das klar und sauber wird. Analog beruhigen wir zu Beginn jeder Meditation zunächst Körper und dann den Geist, um die schädigenden Aspekte unseres Geist sich absetzen zu lassen. 

Eine besonders wirksame Methode zur Beruhigung von Körper und Geist ist die bereits erwähnte Beobachtung des Atems. Da der Atem unser Leben erhält, ist er etwas sehr heilsames. Durch die Beobachtung des Atems entspannt der Körper Schritt für Schritt und der Geist wird von störenden Gedanken befreit. Wir alle kennen vermutlich jene Gedankenflut, bei der der Geist wie ein Affe von Ast zu Ast springt. Gelingt es uns, den Atem ohne jede Störung durch andere Gedanken zu beobachten, ihn in seinen Qualitäten wie Temperatur, Volumen und Fluss wahrzunehmen, verschwindet der hüpfende Affe. Der Geist wird ruhig. 

Nach einer Weile erhalten wir auch eine erste Ahnung darüber, was Konzentration sein könnte, von der doch alle immer reden. In diesem anfänglichen Lernprozess treten natürlich immer wieder hüpfende Gedanken auf. Doch statt uns darüber zu ärgern, lassen wir diese Gedanken wie eine Wolke am Himmel weiterziehen. Denn jeder Ärger über die Störung verstärkt diese nur. Schließlich erleben wir eine erste Ruhe im Geist. Die ist uns oft fremd und manche erschrecken darüber. Doch mit der Zeit fühlen wir, wie angenehm diese Ruhe ist. 

Werden Körper und Geist durch die Atemmeditation langsam ruhiger, glauben viele, dass dies ein guter Moment sei, um über die Vergangenheit nachzu-denken oder Pläne für die Zukunft zu schmieden. Doch das ist falsch, weil die Ruhe des Geistes in dieser Phase noch recht labil ist. Wir müssen uns vielmehr an die Erfahrung der Ruhe erst gewöhnen. Deshalb ist es in dieser Phase schlauer, sich ganz auf den aktuellen Moment zu konzentrieren, wobei nur der Fluss der Momente wahrgenommen wird. Dies erzeugt das starke Gefühl, aktuell präsent zu sein. Körper und Geist werden dadurch entspannt und der Geist erlangt eine gewisse Stabilität. Erst dann beginnen wir mit einer analytischen Meditationen.

Bei jeder Meditation ist es wichtig, fröhlich zu sein und sich darüber zu freuen, dass man die Möglichkeit hat, seine Zeit für etwas Heilsames einzusetzen. Wenn wir mit beruhigtem Geist über die neuen Möglichkeiten nachdenken, wird uns bewusst, wie wertvoll das menschliche Leben ist. An der Kürze der Lebenszeit erkennen wir die Dringlichkeit, die wertvolle Lebenszeit nicht mit unsinnigen Aktivitäten zu verschwenden. Manche erschrecken sich über diese Gedanken. Doch solche Überlegungen sind wichtig für fast jede analytische Meditation, weil sie die Freude und die Notwendigkeit zur Meditation verstärken.

Überlegt man schließlich weiter, dass man als gewöhnlicher Mensch am Ende des Lebens kaum die Freiheit hat, den Ort oder die Umstände einer Wiedergeburt zu bestimmen, sondern dass man in Abhängigkeit von schädigenden Handlungen in elenden, schmerzhaften Bereichen und in Abhängigkeit von heilsamen Handlungen in angenehmen und glücklichen Umständen leben wird, dann verstärkt sich das Motiv, zukünftig heilsam handeln zu wollen. So entsteht der Wunsch und in der Folge auch der Entschluss, die gegenwärtige Zeit möglichst gut nützen zu wollen, um schädigende Samen aus dem Boden des Geistes zu beseitigen und heilsame Samen dort auszusäen. Wir erkennen, dass nur wir selbst über eine heilsame oder leidvolle Zukunft entscheiden. 

Manche denken in dieser Phase noch weiter über die grundsätzliche Natur des Daseins nach und erkennen, dass man als Wesen im Daseinskreislauf deshalb keinerlei Freiheit hat, weil man unter dem Einfluss der Verblendungen des Geistes und der schädigenden Handlungen handelt und lebt. Nur deshalb wird man geboren, altert unfreiwillig, wird krank und stirbt, um schließlich wieder und wieder den gleichen Kreislauf des Leids durchlaufen zu müssen. Indem man hierüber in einer analytischen Meditation nachdenkt und das Leid des Daseinskreislaufs erkennt, entsteht der Wunsch, sich von der leidvollen Existenz des Daseinskreislaufs zu befreien. Wenn man dann in einem nachfolgenden Schritt seine Einstellung so weit revolutioniert, dass man die Ichbezogenheit überwinden will, dass man das Wohl der anderen zu seiner primären Angelegenheit machen und somit Mitgefühl und Zuneigung zu einer Vervollkommnung bringen möchte, dann wächst mit Hilfe der analytischen Meditation der Wunsch, die volle Erleuchtung für das Wohl anderer zu erlangen. 

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